Der Umgang mit Angehörigen in der Psychiatrie
In der Nummer 2/2025 der Zeitschrift „Sozialpsychiatrische Informationen“, die der Psychiatrie Verlag Köln herausgibt, hat die österreichische Psychiaterin und Lehrtherapeutin einen Betrag unter dem Titel „Der Umgang mit Angehörigen in der Psychiatrie“ veröffentlicht. Darin schildert sie die auch von Angehörigen in der Schweiz beklagte ungenügende Einbindung in den Behandlungsprozess. Sie macht sich stark für den Trialog mit Behandelnden, Betroffenen und Angehörigen und die damit verbundene systematische Perspektive. Alles ganz im Sinn der Sozialpsychiatrie.
Wir danken dem Psychiatrie Verlag für das kostenlose Überlassen des Beitrages von Elisabeth Wagner.
Das Wichtigste des Beitrages in Kürze
- Der Umgang mit Angehörigen in der Stationären Psychiatrie hat sich durch die starke Gewichtung des Arztgeheimnisses verändert, weil der daraus resultierende routinemässige Hinweis auf die Verschwiegenheitspflicht problematisch ist. Letztere darf nicht mit einem Zuhörverbot verwechselt werden. Vielmehr ist eine wohlwollende interessierte Haltung gegenüber Angehörigen notwendig, um Kooperationsbereitschaft zu fördern – und zwar nicht nur bei unterstützenden und behandlungsaffinen, sondern auch bei den sogenannt „schwierigen“ Angehörigen, deren Beziehungen zu den Erkrankten konflikthaft ist oder die dem Behandlungssystem kritisch gegenüberstehen
- Die begrenzten zeitlichen und personellen Ressourcen limitieren die routinemässige Einbindung von Angehörigen.
- Besonders dringend sei das Gespräch mit den Angehörigen, wenn die Behandlung gegen den Willen des Patienten mit einer Fürsorgerischen Unterbringung (FU) erfolgt. Insbesondere dann, wenn die Angehörigen in ihrer Not eine solche veranlasst haben und ihnen Zweifel kommen, ob sie das richtige getan haben und ob die/der Betroffene ihnen das je verzeihen kann. Viele Angehörigen entwickeln deswegen Schuldgefühle und Scham. In dieser Situation haben Angehörige das Recht auf Unterstützung – idealerweise durch das Behandlungssystem.
- Im Gegensatz zur stationären Behandlung ist in sozialpsychiatrischen Einrichtungen (ambulante und aufsuchende Dienste, Tagesstätten, Wohngruppen, betreutes Wohnen, Rehabilitiationszentren und Fachstellen für Psychiatrie und Psychotherapie) das trialogische Vorgehen State of the Art. Unter Trialog ist das gleichberechtigte Miteinander von Betroffenen, Angehörigen und Behandelnden zu verstehen.
Kommentare aus Angehörigensicht:
zu 1 : Wenn Psychiatrie eine sprechende bzw. als Beziehungsmedizin verstanden werden will, dann darf sie das Gespräch mit Angehörigen niemals verweigern.
zu 2 : Wenn der Einbezug der Angehörigen so bedeutungsvoll ist, müssen der stationären Psychiatrie auch die Mittel zugesprochen werden, um diesen Einbezug möglich zu machen.
zu 3 : Wenn die Fürsorgerische Unterbringung tatsächlich zum Wohl der erkrankten Person sein soll, dann muss alles vorgekehrt werden, um die damit verbundenen Zwangsmassnahmen zu verhindern. Entsprechende Vorgehensweisen dafür sind längst bekannt (Psychiatrische Patientenverfügungen, aufsuchende Kriseninterventionsteams, Begleitung und Unterstützung der Angehörigen in krisenhaften Situationen, Nachbetreuung und Begleitung der Betroffenen nach einer FU)
zu 4 : Wenn im Rahmen der Informationsvermittlung und für die Beziehungsgestaltung im gesamten Hilfesystem die trialogische Zusammenarbeit besonders wichtig ist, dann muss sie auch in der stationären Psychiatrie vollumfänglich umgesetzt werden können.